Insekten
Insekten leben schon fast 350 Millionen Jahre auf unserem
Planeten. Dagegen wird die Zeit, seit der sich der Mensch
zu entwickeln begann, auf knapp eine Million Jahre geschätzt.
Als der Mensch kam, hatten die Insekten bereits einen langen
und vielseitigen Entwicklungsgang hinter sich, der bis heute
noch nicht abgeschlossen ist: Einige Insektenordnungen stehen
erst am Anfang ihrer Entwicklung. Die Gegenwart müßte
nicht nur als die Ära des Menschen, sondern auch als
die Ära der Insekten bezeichnet werden. Lange Zeit
vor den Anfängen primitiver Kulturen und der Entdeckung
erster Werkzeuge konnten die Insekten schon manches, was
der Mensch erst sehr viel später fertiggebracht hat.
Jahrmillionen, bevor die ersten Papyrusrollen beschrieben
wurden, stellten die Wespen aus Holz sehr haltbares Papier
her, das sie als Baumaterial für ihre Nester verwenden.
Ehe der Mensch mühsam die ersten Bohrwerkzeuge erfand,
beherrschten verschiedene Käfer und Larven die Technik,
auch in sehr hartes Holz ihre Gänge zu bohren. Darüber
hinaus betäuben und lähmen Insekten ihre Beute
so vollendet, daß sie als Nahrung viele Tage frisch
bleibt. Seit jeher erzeugen Insekten süßen Sirup,
scheiden Wachs aus als Schutz- und Baumaterial, exkretieren
starke Schellackkrusten, kilometerlange feine Seidenfasern
und sehr beständigen karminroten Farbstoff.
Auch können Insekten leuchten, sie wandeln in einem
sehr komplizierten Vorgang Energie in Licht um. Bis heute
ist es dem Menschen nicht gelungen, das Produktionsgeheimnis
dieses kalten Lichtes zu lüften, das aus den ,,Lämpchen"
der Leuchtkäfer strahlt.
Gleichzeitig sind die Insekten hervorragende Baumaterialhersteller
und Baumeister. Viele Arten kleben aus verschiedenen Stoffen
für ihre Nachkommen kleine Nester, die Termiten verfertigen
aus solidem „Holzbeton" feste und hohe Bauten,
deren Zweckmäßigkeit und Orientierung nach den
Himmelsrichtungen Anerkennung und Bewunderung verdienen.
Insekten können schneiden, nähen, weben und bestatten,
und nicht zuletzt sei daran erinnert, dass Insekten die
Schöpfer der ersten organisierten Gesellschaften sind,
streng in Kasten gegliederter Staaten. Alle unterstehen
gleichermaßen der Königin, die nicht nur Gründerin
des Staates ist, sondern in den meisten Fällen auch
die Mutter aller seiner Bewohner, wie
etwa bei Ameisen, Bienen, Wespen oder Termiten.
Bei der Sorge um die Eier sind die Insekten sehr vielseitig
und stellen nicht selten wunderschöne seidige Hüllen
oder Behälter her, bzw. ,,nähen" Blätter
für ihre Gelege zusammen.
Manchmal geht diese Fürsorge noch weiter - die Muttertiere
wachen selbst bei den abgelegten Eiern, belecken sie und
halten sie sauber. Sie pflegen sogar die jungen Larven,
füttern sie und warten in einigen Fällen auch
das Schlüpfen der neuen Generation ab.
Als sich im Laufe der Zeit in kleinen Schritten die menschliche
Zivilisation entwickelte und die ersten Formen von Landwirtschaft
aufkamen, prallten die Interessen des Menschen und der Insekten
aufeinander. Die Tiere, Insekten nicht ausgenommen, umgaben
den Menschen schon von Anbeginn seiner Existenz. Das war
schon ältesten Kulturen bewußt.
Zur Zeit der ägyptischen Pharaonen wurden Insekten
als heilig verehrt und häufig abgebildet, wie der Scarabaeus,
der als Symbol der Wiedergeburt galt, oder auch die Biene.
Diese Zeugnissekommen einem Betrachter sehr alt vor, aber
in der Entwicklungsgeschichte der Schöpfung sind ein
paar Jahrtausende überhaupt nichts.
Der Beginn der Landwirtschaft bedeutete eine einschneidende
Veränderung im Charakter der damaligen Landschaften.
Die ursprünglichen Waldbestände verschwanden langsam
und an ihre Stelle traten Kultursteppen, später auch
Waldmonokulturen. Damit wandelte sich auch die Insektenwelt:
Die Bewohner der Urwälder verschwanden, und an ihre
Stelle traten andere, völlig unterschiedliche Arten.
Sie fanden genügend Nahrung und entwickelten
allmählich zu Wald- und Feldschädlingen. Schließlich
mußte der Mensch diese
ungebetenen Gäste bekämpfen, die er einst eigentlich
erst durch seine Arbeit in seine Nähe gelockt hatte.
Im Altertum, auch noch in den jüngst veigangenen Jahrhunderten,
war der Mensch den Insekten gegenüber wehrlos. Er stürzte
sich mit bloßen Händen oder mit Stöcken
in den Kampf, beschwor die Insekten oder stiess - mit wahrscheinlich
ziemlich geringem Erfolg - Bannflüche gegen sie aus.
Insekten brachten Krankheiten und Hungersnöte. Heuschreckenschwärme,
die sich auf eine Landschaft niederließen und alles
bis auf den letzten Halm kahlfraßen, wurden für
eine Strafe Gottes gehalten. Es wäre jedoch
falsch zu behaupten, daß die Insekten dem Menschen
nur schaden. Immerhin leisten sie uns seit jeher nützliche
Dienste, deren Bedeutung erst in letzter Zeit voll gewürdigt
wurde. Sie sind die wichtigsten Blütenbestäuber
und sorgen so nicht nur für die Ernte verschiedener
Nutzpflanzen, sondern stellen die Existenz der gesamten
Pflanzenwelt sicher. Raubinsekten fressen die weniger räuberischen,
dem Menschen aber lästigen Arten und tragen so dazu
bei, den Bestand der Schädlinge zu dezimieren. Als
,,Gesundheitspolizei" entfernen Insektenarmeen vielerlei
verwesende Stoffe organischer Herkunft, d.h. tierische oder
pflanzliche Produkte aus der Natur. Nicht zuletzt bereiten
die Insekten dem Menschen durch ihr blosses Vorhandensein
Freude. Es genügt, an die unnachahmliche Schönheit
vieler Tagfalter, wie des Pfauenauges oder des Admirals
zu erinnern, an den eleganten Libelleflug, an die bizarren
Gestalten vieler Insekten und an ihre merkwürdigen
Ornamente und Farben.
Wer ihr Leben näher kennengelernt hat, bewundert ihre
unglaubliche Anpassungsfähigkeit. Die
Insekten sind eine Tiergruppe, die unsere maximale Aufmerksamkeit
verdient.
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